Lesen im Gebüsch

Laberndes Klebkraut voraus!

Lesen im Gebüsch – eine literarische Wanderung in die Solinger Natur für Kinder ab 6 Jahren

Die sechsstündige Wanderung begann bei Nieselregen, doch die kleine Zauberei an der Bushaltestelle hatte gewirkt: Der Regen hörte bald auf, und eine fahle Sonne begleitete die quicklebendige Wandergruppe ins Solinger Weinsbergtal! Geschmückt mit einer Krone aus klebendem Labkraut – versehentlich auch schon mal „laberndes Klebkraut“ oder auch „lebendes Klabkraut“ genannt – marschierten 24 Kinder und sechs Kräuter- und Lesehexen durch Wald, Wiese und Gebüsch.

IMG_2875Sie lauschten den Geschichten und Märchen, die an markanten Naturpunkten vorlesen wurden. Auch das Sitzen, ohne dass der Popo den Waldboden berührt, beherrschen jetzt alle Kinder. Das klappt allerdings nur bergauf: Bergab plumpsten alle, die es ausprobierten, auf ihren Allerwertesten.

Das Klettern auf dem umgestürzten Baum hätte sogar ein Tagesprogramm werden können!

Gleich zu Beginn musste dann schnellstens das „Indianerpflaster“ gefunden werden, hatten sich doch die ersten Kinder schon an der Brennnessel verbrannt, weil ihnen das beherzte Zupacken nicht auf Anhieb gelang.

Das Einsammeln der Blüten des Johanniskrautes, das so gut gegen traurige Gefühle hilft und die Finger beim Zerreiben rot färbt, hatten die Jungs hingegen gleich verpasst: Für sie war die Wanderung schon deshalb großartig, weil sie mit einem Stock das wuchernde Gebüsch niedermachen durften. Als sie aber die Füße zur Erfrischung in den kalten Gluckerbach halten sollten, mussten das die „Oberhexen“ erstmal vormachen.

In der Schäferei Lang gab es einen HoBlüSi-Trunk zur Stärkung und dann wollten alle Kinder die 200 Schafe sehen und natürlich auch streicheln. Das klappte erst mal nicht, denn die Schafe liefen weg. Am Ende ist das Schafe-Streicheln aber doch noch gelungen: Man muss sich eben nur leise und reglos auf die Wiese setzen. Und weil alle Kinder dann tatsächlich mucksmäuschenstill wurden, kamen doch zwei, drei, vier neugierige Schafe ganz nah heran!

Mit einem fröhlichen Zaubertanz auf der Wiese – Musik und rhythmische Geräusche wurden selbst gemacht – endeten die beiden vergnüglichen Lesewanderungen der Biologischen Station Mittlere Wupper in Kooperation mit der Solinger Kinderbibliothek.

„Und welche Geschichte hat Euch am besten gefallen?“ Die Antwort war einhellig: „Das Märchen vom Marienkind!“

Idee

Die Verbindung von Literatur und Natur basierte auf einer losen Verabredung des Geschäftsführers der Solinger Biologischen Station mit der Direktorin der Stadtbibliothek, frei nach dem Motto: „Wir machen mal was zusammen!“

„Lesen im Gebüsch“ war lange Zeit ein Arbeitstitel, der aufgrund seiner Griffigkeit bei der Realisation erhalten blieb. Eine grundschulerprobte Biologin und „Kräuterhexe“ traf dabei auf das kreative Leseförderungsteam der Solinger Stadtbibliothek, das das Vorlesen von Geschichten an ungewöhnlichen Orten immer wieder neu inszeniert.

Hintergrund

Das Bergische Land hat viel „Gegend“, und man ist schnell im grünen Gebüsch. Solingen ist eine kleine Großstadt mit ca. 160.000 Einwohnern und einer historisch begründeten dezentralen Struktur. Das Thema „Familie“ rückt hier gerade in den politischen Fokus. Die meisten Kinder sind als klassische „Stadtkinder“ zu bezeichnen und kennen sich in der Natur wenig aus. Das erkennt man unter anderem daran, dass sie alle schwarzen Vögel, z. B. das verhältnismäßig kleine Amselmännchen, als „Raben“ bezeichnen und jede gelbe Blume sofort zur „Butterblume“ machen.

Planung

  • Im ersten Planungsschritt muss der Zielort der literarischen Wanderung festgelegt werden, da die Natur die literarische Gestaltung definiert. Nach kurzer Zeit war klar: Wir wandern zum Bauern Lang! Der Schäfer ist kinderlieb, hat 200 Schafe und einen klugen Hund, eine riesige Wiese mit Murmelbach und zur Not auch eine Scheune, die uns bei Regen trocken hält.
  • Bei der Zielgruppenbestimmung einigten wir uns schnell auf 24 Grundschulkinder.
  • Dauer der Ferienaktion: fünf bis sechs Stunden.
  • Wichtig: Verkleidung der Protagonistinnen als Lese- oder Kräuterhexen und Erfindung von fantastischen Namen: „Pia Piperita“ als Kräuterhexe und „Cleo Knolle“ als Lesehexe.
  • Anfahrt mit dem Bus (Fahrkarten für alle vorher besorgen).
  • Eintrittspreis: 5 € mit, 8 € ohne Bibliotheksausweis.
  • Treffpunkt: Kinderbibliothek.
  • Verpflegung und Getränke sollen die Kinder selbst mitbringen.

Konkrete Vorbereitung und Umsetzung

Etwa zwei Wochen vorher musste der Wanderweg probeweise begangen werden, damit der jahreszeitliche Zustand der Flora und des Gebüschs in die Planung einfließen konnte. Dabei ergaben sich folgende Stationen:

  1. Zu Beginn der Wanderung auf dem Weg: „Verkleidung“ mit klebendem Labkraut und Schminken der Kinder (Spinnen und Spinnennetze).
  2. Auf der ersten Wiese: Vorlesen des Bilderbuches „Da ist eine wunderschöne Wiese“ von Wolf Harranth und Winfried Opgenoorth.
  3. Am Wegesrand: Johanniskrautblüten einsammeln, Indianerpflaster pflücken (Spitz- und Breitwegerich) und Kleeblüten mitnehmen.
  4. Der Brennnesseltest!
  5. Bei der hohlen Eiche mitten im Wald: Picknick mit dem Märchen: „Marienkind“ (Brüder Grimm).
  6. Ankunft beim Bauern: Limonade aus „HoBlüSi“ (=Holunderblütensirup) brauen und trinken und ein Hexenmärchen vorlesen.
  7. Auf der Schafswiese: Schön leise sein und die Schafe herankommen lassen.
  8. Am Bach: Füße kühlen und dabei das Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ (Brüder Grimm) lesen.
  9. Im Schatten des großen Baumes und zum Abschluss: Zaubertanz mit eigenem Gesang und Gerassel.

Die 200 Schafe haben manchmal ein bisschen seltsam geguckt und sind einmal im Galopp davongerannt.

Die Kinder fanden „Lesen im Gebüsch“ toll! Alle waren am Ende ein bisschen müde, die Kids fragten dennoch unverdrossen: „Macht Ihr das morgen nochmal?“ Die Oberhexen sahen auf ihre dreckigen Schuhe und antworteten im Chor: „Morgen nicht, aber im nächsten Jahr bestimmt wieder!“

Wer es ganz genau wissen will, kann sich hier alle Fotos ansehen: http://www.elsner-overberg.de/gebuesch08/

Idee:
Claudia Elsner-Overberg (Stadtbibliothek Solingen) und
Pia Kambergs (Biologische Station Mittlere Wupper)

Fotos:
Steffi Feller (Stadtbibliothek Solingen)

Dieses Projekt wurde ausgezeichnet im Rahmen des Wettbewerbs »NRW denkt nachhaltig 2008«